Das ist nicht so leicht zu beantworten …. Ich sehe da zwei große Unteraspekte: das Buch und das Tagebuch. Dazwischen gibt es natürlich tausend weitere Schreib-Formen..

Aber ich denke, wir sollten uns zuerst mal fragen, was Schreiben eigentlich bewirken soll? Es gibt so viele Möglichkeiten des Schreibens ….

Etwa das altbewährte Tagebuch

Das schreibe ich in der Regel nur für mich selbst. Nur ich lese es unter Umständen nach Jahren wieder. Wenn ich möchte, kann ich Passagen daraus auch mal anderen Menschen vorlesen. Das sind dann in der Regel aber sehr intime Momente.

Der wichtigste Zweck des Tagebuchschreibens ist in der Regel, mir selbst über etwas klar zu werden. Meistens schon in dem Moment, in dem ich es schreibe. Das kann völlig intuitiv sein. Oder es kann bedeuten, dass ich mir den Blick auf mich selbst über Jahre hinweg klar machen möchte. Es kann bedeuten, dass ich im Schreiben wie mit einer Kamera Momente festhalte, die ich später noch nachverfolgen kann. Dass ich eine Art Fundus meiner Gedanken über Jahre hinweg anlegen, meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen möchte. Es kann auch bedeuten, dass ich einfach mit Eindrücken und/oder Schreibtechniken experimentieren möchte. Kann sein, dass ich mir in einer schwierigen oder ungewöhnlichen Phase meines Lebens ganz bewusst eine Schneise in meine Wahrnehmungen schlagen will. Oder Dinge ordnen, die mir völlig undurchsichtig scheinen. Die ich sortieren, mir selbst begreiflich machen möchte. Es kann auch ganz einfach ein Selbstgespräch mit mir sein.

Der Sinn eines Tagebuches ist also oft, dass ich mich selbst in den Blick nehme. Dafür schreibe ich es. Und dafür brauche ich nicht unbedingt den Blick anderer Menschen auf das, was ich geschrieben habe. Im Gegenteil: Oft ist es eben genau der Bereich der „Geheimnisse“, der mich wieder und wieder zu meinem Tagebuch zieht.

So gesehen, ist das Schreiben eines Tagebuchs oft tatsächlich ein recht einsamer Prozess.

Und das „echte“ Buch?

Das Schreiben eines Buches kann dem Tagebuchschreiben durchaus ähnlich sein: Ich möchte intime, bislang verborgene Gedanken mit anderen Menschen teilen. Sie anderen Menschen zeigen, sie zum Nachdenken anregen. Oder ihnen deutlich machen, wie ich die Welt sehe. Wie ich vielleicht ein Problem gelöst habe.

Oder ich möchte eine Geschichte komplett neu erfinden. Einfach nur, um zu unterhalten, um Abwechslung, neue Blicke, Spannung, neue Welten, unbekannte Figuren und deren Abenteuer zu erschaffen. All das und noch vieles mehr ist ja beim Schreiben eines Buches stets möglich.

Wir sind dabei in Form, Inhalt, Intention und mit dem Blick auf unsere Leserschaft völlig offen. Denn: Erst einmal haben wir ja noch gar kein Publikum …

Das Schreiben und „die“ Öffentlichkeit

Und trotzdem ist es wichtig, dass wir überhaupt ein Publikum im Blick haben. Und sei es nur in Form einer einzigen Person. Die wir während des Schreibens ansprechen möchten. Manche kreieren daraus einen Avatar. Andere lassen die Empfänger unserer Geschichte erst mal völlig offen. Und konzentrieren sich nur auf die Geschichte, die erzählt werden soll. Trotzdem hat diese Geschichte in dem Moment, wo sie als Buch geplant wird, mindestens einen Empfänger, mindestens eine Leserin. Damit ist das Schreiben mehr oder weniger sofort alles andere als einsam.

Dieser Gedanke klingt zunächst wenig aufregend. Und doch beinhaltet er einen wichtigen Schritt. Nämlich den Schritt, mit dem, was wir oft aus unserem Inneren als Text nach außen tragen wollen, auch wirklich in die Öffentlichkeit zu gehen.

Und in meiner Zeit als Lektorin habe ich schon mehr als einmal erlebt, wie genau dieser Schritt Menschen auch Angst einjagen kann. Wie genau an dieser Stelle die angedachte Veröffentlichung eines Buches scheitern kann. Weil sich jemand nicht traut, das, was in der Einsamkeit des eigenen Denkens, in
der eigenen Fantasie, auf den schwer definierbaren Wegen von Protagonisten oder in Sachbuchtexten entstanden ist, nach außen zu tragen.

Der Sprung ins kalte Wasser

Tatsächlich ist die allererste Hürde dabei für viele Menschen schon jener Moment, in dem eine Lektorin gesucht werden muss. Der erste fremde Mensch, der den eigenen Text lesen soll. Das kann auch der Testleser sein, die Korrektorin. Wer auch immer mein Buch als erstes liest.

Denn der Moment, in dem ich meinen Text zum ersten Mal einem anderen Menschen zu lesen gebe, ist immer auch ein Moment der Wahrheit. Ich muss mich auf ganz andere Weise als vorher dem öffnen, mich ihm in gewisser Weise stellen, was ich da geschrieben habe.

Das ist eine Art Test: Schaffe ich es, das, was ich über Wochen oder Monate allein mit mir ausgemacht habe, geschrieben und konstruiert, überarbeitet und immer wieder neu gedacht habe, dem Blick, vielleicht gar der Kritik andere Menschen auszusetzen?
Diesen Test muss ich hinter mich bringen. Denn er ist nur der erste Schritt auf dem Weg, daraus ein Buch entstehen zu lassen. Ohne diesen Schritt geht gar nichts.

Ich habe jetzt absichtlich nur von Tagebüchern und Büchern gesprochen. Dieser Prozess ist aber kaum anders, wenn ich einen Blogbeitrag oder einen Social-Media-Post schreibe. Auch dann muss ich mit den Reaktionen anderer Menschen auf das rechnen, was eigentlich erst einmal nichts als ein Dialog zwischen mir und mir ist.

Die Rolle von Lektorat oder Korrektorat

Die ist allgemein bekannt. Es geht darum, den eigenen Text zu verbessern. Aber mit meiner Frage nach der Einsamkeit des Schreibens möchte ich genau hier einen weiteren Aspekt hinzufügen. Und der ist genau diese Testsituation …

Wenn ich das Lektorat als eine Art Test sehe, übe ich mich in dem Moment auch schon darin, die Hürde zu überspringen, die es bedeutet, vom einsamen Dialog, sprich: der Auseinandersetzung mit mir und meinem Text in die Öffentlichkeit zu gehen.

Ich denke, auch darum ist das Lektorat eine sehr wertvolle Angelegenheit. Denn damit übe ich schon einmal, diese Hürde zu nehmen. Die Hürde zwischen dem Schreiben als einsamem Dialog mit mir selbst und der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Das hat mindestens zwei Konsequenzen:

Zum einen, dass ich realisiere, dass ein Buch diese Öffentlichkeit immer, überall und unbedingt braucht. Dass das „einsame Schreiben“ hier sehr schnell endet – vielleicht sogar gar nicht erst begonnen werden sollte.

Und zum anderen die Rolle der Menschen, die das geplante Buch zuallererst lesen, im Idealfall auch lektorieren. Denen sollte stets klar sein, dass es hier um sensible, intime, oft persönliche Dinge geht. Doch das ist schon wieder ein anderes Thema … Was macht eine gute Lektorin aus? Wie und wo finde ich ihn oder sie?

In der Rolle als Lektorin ist meine Lieblingsfrage übrigens immer: „Können Sie sich vorstellen, diesen Text auf einer großen Bühne laut zu lesen – wenn vielleicht noch Freunde oder Familienmitglieder im Publikum sitzen?“

Für mich ist dies die ultimative Grenzüberschreitung zwischen „einsamem Kämmerlein“ und Buchveröffentlichung. Sollten sich angehende Autorinnen unbedingt so früh wie möglich klarmachen …

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