Ja, sie war schon mal gemütlicher … Diese alte Welt von Buchmarketing, in der noch Verlass war auf die riesige Erfahrung, die guten Kontakte und das Zusammenspiel von Verlagen und Buchhandel. Autorinnen und Autoren mussten sich nicht allzu viele Gedanken machen um das Buchmarketing. Ab und an mal ein Interview, ein paar Lesungen, alles andere erledigte der Verlag. War das wirklich so? Natürlich nicht. Natürlich immer schon nur für jene, die als erfolgreich galten. Doch: Die Zahl dieser „Erfolgreichen“ war durchaus schon mal höher als heute. Und spätestens, seit es Selfpublishing gibt, ist alles völlig anders. Ich glaube nicht, dass dies der Grund ist – eher schon die zunehmend schlechte Finanzlage des ganzen Buchmarkts.
Aber Tatsache ist auch: Inzwischen wird von Verlagsautor:innen oft beinah so viel Eigeninitiative erwartet wie von Selfpublisher, wenn es um die Selbstvermarktung geht … Willkommen in der „neuen Welt“ des Buchmarketing! Wir können ja alle alles selbst erledigen! Oder etwa nicht?! Ich fürchte: nein. Darum habe ich den Begriff vom „Prekariat des Buchmarketing“ erfunden. Denn genau das öffnet auch fragwürdigen Anzeigenverkäufern Tür und Tor. Dagegen würde ich gern was unternehmen …
Die „alte Welt“ des Buchmarketing
Ganz grob würde ich sagen: Die Selbstdarstellungsfähigkeit von Autorinnen und Autoren, die Öffentlichkeitsarbeit von Buchhandel und Verlagen – inklusive Verlagsvorschau und Anzeigenmarketing – sowie das mächtige Instrument der Lesungen: Das sind die „Grundpfeiler“ erfolgreichen Buchmarketings in der „alten Welt“ (gewesen). Bis auf die Lesung waren das Dinge, bei denen Autor:innen sich mehr oder weniger ausschließlich auf das Know-How jener Menschen verlassen konnten, die damit langjährige Erfahrungen und die besten Beziehungen hatten. Ist das noch immer so?
Fangen wir mal ganz groß an: Sebastian Fitzek ist mit Sicherheit eine Ausnahmeerscheinung. Als Bestseller-Autor macht er vor, wie es heute in Sachen Marketing idealerweise gehen könnte. Nur leider: Er ist damit die absolute Ausnahme.
Galore, dem (wie ich finde) wunderbaren Interview-Magazin erzählte er in der Ausgabe Februar/März 2025, dass seine Managerin nur für ihn ihre vorherige Stelle gekündigt habe, um allein für ihn zu arbeiten. Ob sie damit auch seine PR-Managerin ist oder ob es dafür eine zweite Stelle gibt, wird in dem Interview nicht ganz klar. In jedem Fall hat er (auch) „eine persönliche PR-Agentin“ – das sagt er deutlich. Und offenbar noch mehr Angestellte, die sicher vor allem im Bereich Öffentlichkeitsarbeit für ihn aktiv sind – denn er sagt, dass er Büros anmiete und Gehälter zahle. Dass er alle Recherche-Arbeit selbst erledigt, betont er ausdrücklich. Und ich gehe mal davon aus, dass er auch selbst schreibt. Mit diesen Arbeitsplätzen und in den angemieteten Büroräumen kann es also nur um Öffentlichkeitsarbeit gehen – im allerweitesten Sinn, Lizenzen und Co. inklusive.
Ich denke ja, dass Sebastian Fitzek ein gut organisierter und auch kluger Mensch ist. Vor allem steht er mit seinem „Business“ absolut auf der Höhe der Zeit. Sprich: Er tut das, was alle Autor:innen tun sollten – wenn, ja … wenn sie es sich denn leisten könnten. Können sie aber nicht. Ich verweise hier einmal mehr auf einen absoluten Augenöffner, das Buch „Brotjobs & Literatur“. Ich habe an mehreren Stellen darüber geschrieben, beispielsweise hier. Fazit: Es ist verdammt unglaublich schwer, vom Schreiben leben zu können!
Vielleicht denken jetzt schon einige Leser:innen, ich hätte mein eigenes Thema verfehlt … Schließlich soll es ja um Buchmarketing gehen. Ich versichere: Ja, es geht um Buchmarketing. Denn jede Art von PR (zu deutsch: Öffentlichkeitsarbeit) IST Buchmarketing. Punkt. Da gehört natürlich auch die Verfilmung eines Buchs dazu, ebenso Übersetzungen. Oder der Klassiker: die Lesung. Doch was ist mit der Verlagsvorschau, dem Buchhandel, mit (Online-)Anzeigen und Buchbesprechungen? Ja! Gehört alles dazu.
Die entscheidende Frage ist:
Wer kümmert sich um das Buchmarketing?!
Antwort: Da hat sich heftiger als sonstwo in der Buchbranche in einigen Jahrzehnten so ziemlich alles verschoben … Noch vor kurzem galt es als Standard, dass sich Verlage um das Buchmarketing kümmern. Ist das noch so?
Weil ich gerade schon Filmrechte erwähnt habe, nehmen wir mal ein ganz anderes Beispiel: Isabel Bogdan, deren Roman „Der Pfau“ erst kürzlich verfilmt wurde. Volltreffer! Sieht man im Blog der wunderbaren Autorin (und Übersetzerin!) nach, finden sich Dialoge, in denen Leser:innen fragen, wann und ob die Autorin denn mal zu einer Lesung in ihre Gegend komme. Bogdan antwortet, das liege nicht in ihrer Hand – es müssten Anfragen über eine Kontaktperson des Verlags gestellt werden. So persönlich die Beziehung zwischen Autorin und Leser:innen auch sind (und das sind sie, gerade in diesem Fall ganz sicher!) – am Ende organisiert der Verlag jede Lesung. Ich verstehe das gut, denn anders käme die Autorin kaum zum Schreiben.
Hanns-Josef Ortheil ist – in verkauften Buchstückzahlen – vermutlich noch erfolgreicher als Bogdan (aber auch schon wesentlich länger „im Geschäft“ …) Er betreibt genau wie sie einen ausgezeichneten Autorenblog. Auch das ist ein wichtiges Buchmarketing-Instrument – es dient der Selbstdarstellung. Ich habe schon oft in dem Blog gestöbert, aber erst neulich fiel mir auf, dass im Impressum gar nicht der Autor genannt wird, sondern die Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.
Und als „Klassiker der alten Welt“ sehe ich alles, was der Buchhandel an Öffentlichkeitsarbeit leisten kann. Über das „Verschwinden“ – zumindest größtenteils – der Verlagsvertreter:innen habe ich ja neulich schon mal geschrieben. Dass es seit Online-Zeit kaum noch gedruckte Verlagsvorschauen gibt, ist klar. Und dann auch noch die Zahlen! 1980 lief der Gesamtumsatz des deutschen Buchhandels noch zu 75 Prozent über den „stationären Buchhandel“. 2024 waren das noch knapp 42 Prozent. Uffz!
Fazit zu Buchmarketing „aus der alten Welt“
Wo es sich Sebastian Fitzek – nach langem, intensivem Aufbau seiner Autorenarbeit – mittlerweile finanziell leisten kann, die alten Tugenden, das absolute Expertenwissen aus der „alten Welt“ in Form von eigens geschaffenen Stellen für sich neu zu beleben, können andere Autor:innen noch auf das Expertenwissen der Verlage zurückgreifen. Wer das kann – und wer nicht – das ist teilweise Glückssache. Und natürlich Sache des finanziellen Erfolgs. Bogdan und Ortheil sind erfolgreich – und haben Verträge mit alteingesessenen Verlagen.
Auf Verlagsseite funktioniert in Sachen Buchmarketing also einiges noch, was in der „alten Welt“ lange Zeit als selbstverständlich galt: Erfolgreiche Autor:innen können sich auf das Branchenwissen und die Marketingkenntnisse ihres Verlags verlassen.
Im Buchhandel sieht es da schon wesentlich schlechter aus: Verkaufszahlen, die sich in 45 Jahren fast halbiert haben, lassen kaum noch Raum dafür, in etwas anderes zu investieren als bestenfalls ins eigene Unternehmensmarketing.
Doch genau hier kommen die Lesungen ins Spiel … Sie sind vielleicht der einzige Faktor, bei dem Autor:innen, Buchhandel (als Veranstaltungsorte) und Verlage gleichermaßen profitieren können. Denn Lesungen binden ja immer auch sehr direkt all die mit ein, um die es eigentlich geht: die Kundschaft. Uns, die Leser:innen.
Die „neue Welt“ des Buchmarketing
Sie besteht natürlich aus all den SocialMedia-Kanälen, der Welt der Buchblogger:innen, aus podcasts und Live-Interviews, aus Newslettern, Sales-Funnels, Amazon-Bewertungen und Anzeigen bei Amazon, Google, Apple, Facebook oder sonstwo online. Will ich jetzt gar nicht weiter breittreten. Und auch nicht bewerten – denn vieles davon hat durchaus eine Berechtigung.
Mir geht es nur um EIN Merkmal, das all diesen Marketinginstrumenten gemeinsam ist: Autorinnen und Autoren müssen selbst aktiv werden.
Es sei denn, sie haben Geld genug, um sich die entsprechenden Dienstleistungen kaufen zu können … Haben sie das nicht, wird Buchmarketing zur never ending story. Und das auch noch in „eigener Sache“ – was sowieso immer besonders schwierig ist.
Die Selfpubublisher
Rechnen wir jetzt noch all die Selfpublisher hinzu, denen nie ein Verlag auch nur ansatzweise zur Seite steht, die äußerst selten auf die Kraft des Buchhandels zurückgreifen können … dann haben wir das, was ich das Prekariat des Buchmarketing nennen möchte: Autor:innen mit wenig Erfolgsaussicht, oft noch weniger Geld – und beides bedingt sich natürlich auch noch gegenseitig. Vom Zeitaufwand für die Autor:innen mal ganz zu schweigen …
Aus den Zahlen der jährlichen Umfragen des Selfpublisher-Verbands von 2024 ergibt sich mehr oder weniger von selbst, dass sich die meisten Selfpublisher das – oft recht teure – Anzeigen-Marketing ohnehin nicht leisten können: Über die Hälfte aller an der Umfrage Teilnehmenden erwirtschaften pro Monat weniger als 50 €. Lediglich knapp 7 Prozent verdienen 2.000 € oder mehr. Wer gibt davon auch noch Geld für Anzeigen-Kampagnen mit mehr als unsicherem Erfolgsergebnis aus?!
Meiner Ansicht nach bleiben am Ende als ernstzunehmende Marketing-Instrumente wohl nur Lesungen, Autorenblogs oder -Websites übrig.
Die Lesung
Sie hat ihre Wurzeln in der „alten Welt“ und taugt auch hervorragend für die „neue Welt“ des Buchmarketing. Denn sie ist extrem flexibel – gelesen werden kann auf Parkbänken, bei Messen, Literatur- wie Fachveranstaltungen, in Schlössern, Waschsalons oder auf Schiffen, während Stadtführungen und in Büchereien, Buchhandlungen oder Kirchen, mit Musik oder ohne, als Comedy-Inszenierung und/oder gemeinsam mit anderen Autor:innen. Vieles davon geht auch noch vor Ort UND online. Sie kann von Verlagen, Buchhandlungen oder den Autor:innen selbst organisiert werden – und gegen eine Partnerschaft mit Veranstaltern aus völlig anderen Bereichen spricht eigentlich nie etwas.
Und eine Lesung bietet fast immer auch einen wunderbaren Aufhänger für (regionale) PR-Arbeit.
Kurz: Es gibt kaum ein vielseitigeres Marketing-Instrument als die Lesung aus dem eigenen Buch.
Sie kann mit Signierstunden verknüpft werden, ein Büchertisch gehört immer dazu – Buchverkäufe sind genauso das Ziel einer Lesung wie der Kontakt mit der eigenen Leserschaft. Das trägt. Und beides gelingt mit einer Lesung. Immer. Ganz anders als der Verkaufserfolg via Online-Anzeigen …
Autorenblogs oder -Websites
Auch sie sind flexibel, können wunderbar Kooperationsmöglichkeiten eröffnen: Gastbeiträge, Blogparaden, podcasts und Ähnliches. Sie können sehr gut für sich allein stehen. Und sie werden – meiner Ansicht nach – im Verbund mit SoMe-Maßnahmen noch wirksamer. Weniger zuverlässig ist es, sich nur auf SoMe zu konzentrieren – wer weiß schon, auf welche Ideen die Betreiber der Plattform demnächst kommen …
Während eine Lesung eigentlich nur einmal konzipiert werden muss und dann – sagen wir – höchstens 12mal im Jahr gehalten wird, ist bei allem, was online geschieht, mehr oder weniger ständige Aufmerksamkeit nötig. Das ist ein Minuspunkt.
Aber es ist natürlich gar kein Entweder-Oder: Lesungen können perfekt auf Websites angekündigt werden, es kann über sie berichtet werden, Besucher:innen dazu befragt, Fotos eingestellt, Videos gedreht werden …
Fazit aus der „neuen Welt“
Doch, es gibt Wege, um dem Prekariat des Buchmarketing zu entkommen. Die Unterschiede zwischen Verlagsautor:innen und Selfpublishern werden mangels Buchmarketing-Engagement von Verlagsseite immer kleiner. Doch Dinge wie eine Lesung – mit all ihren Chancen – bleiben. Und können auch gut selbst organisiert werden. Autorenblogs, Kooperationen und – als Begleitmaßnahmen – SoMe-Aktivitäten ebenso. All das wird nicht reich machen. Aber es hilft, das eigene Buch besser zu verkaufen.
Aus- und Rundumblick
Dieser Beitrag ist Teil meiner Serie „Buchmarketing historisch“.
Und ich schreibe ihn unter anderem deshalb, weil ich jahrzehntelange Erfahrung im Buchmarkt mit all seinen Erscheinungsformen habe. Seit ich als Buchhebamme Menschen dabei unterstütze, ihr eigenes Buch – vorwiegend als Selfpublisher – zu publizieren, fiel mir auf, wie groß die Kluft ist, die zwischen Buchmarketing in Eigenverantwortung und dem früher üblichen Aufgehobensein in Verlagen und Buchhandlungen geworden ist. Ja, es war gemütlicher – gar keine Frage.
Heute müssen auch Verlagsautoren fast so viel an Buchmarketing auf die Beine stellen wie Selfpublisher. Das ist schwierig – und ich würde mich gern darum kümmern … Denn dieses „Prekariat des Buchmarketing“ ist ein unhaltbarer Zustand, finde ich. Darum arbeite ich derzeit auch mit Hochdruck an meinem ersten Selbstlernkurs: Buchmarketing jenseits von amazon wir er heißen.
Mehr demnächst hier, in diesem Theater …
Text und Bild: Maria Al-Mana, die Buchhebamme
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