Nehmen wir mal an, ich habe Lust zu lesen. Weiß aber nicht genau was. Idealerweise habe ich dann eine Buchhändlerin, die mich schon ein Weilchen kennt. Oder wenn das nicht der Fall ist, fragt sie mich: „Welche Art von Büchern mögen Sie dann? Was hat Ihnen gefallen? Was haben Sie zuletzt gelesen?“ Kann gut sein, dass sie mir dann die entsprechend richtige Empfehlung gibt. Die Sache hat nur einen Haken. Ich zum Beispiel finde es regelrecht intim, auf solche Fragen in der Öffentlichkeit zu antworten, wenn etwa noch fünf andere Menschen hinter mir in einer Warteschlange stehen. Ich mag das nicht. Ich möchte mich auf mein eigenes Gefühl verlassen. Und ich möchte meine Entdeckungen am liebsten selber machen dürfen.
Was will ich lesen?
Online-Buchportale schlagen mir gern vor, ich solle das lesen, was andere Kunden vor mir auch gekauft haben. Trifft nur äußerst selten das, was mich wirklich interessiert. Natürlich kann man manchmal beides funktionieren: der Buchhändler als fachkundiger Berater, die Verkaufsplattform mit einem Algorithmus, der einen Nerv trifft.
Doch wie gesagt:
Ich halte das Lesen für etwas Persönliches, manchmal sogar Intimes, in jedem Fall sehr Individuelles.
Bei der Auswahl der Bücher, die ich lesen möchte, kann ich über die Themen gehen, um mich dem anzunähern, was ich auswähle. Ich kann aber auch direkt über die Autorinnen gehen: Wer spricht mich an? Wer trifft meinen Ton? Meine Haltung? Wer beantwortet meine Fragen auf eine Weise, die ich gut verstehe? Wem fühle ich mich nah? Wer kann mir gut Dinge beibringen, die ich leider immer noch nicht verstanden habe. Wer kann mir neue Welten eröffnen? Manchmal auch gern Welten, von denen ich mich 250 Buchseiten lang gerne gefangen nehmen lasse. Wie steht es mit dem Humor? Sind der Autor und ich da auf einer Wellenlinie? Oder macht die Autorin Witze, die ich permanent nicht verstehe? Wenn es um Lebenserfahrungen geht – kann ich ihnen da folgen? Oder sind sie mir so fremd, dass ich das Buch nach 20 Seiten weglege? Und so weiter und so fort. All diese Fragen sind hoch individuell. Und oft ist der beste Weg, sie zu beantworten, wenn die Autorin mir das Gefühl gibt, dass sie nahbar ist. Und ich diese Nähe dann auch mag.
Auch Buchmarketing sollte individuell sein
Eigentlich soll es ja hier um das Thema Buchmarketing gehen. Der Algorithmus auf Buchhandelsplattform ist sicher eine Marketingmaßnahme. Aber ob das Marketing bei mir ankommt, ob es meinen Geschmack trifft, ob ich mich damit gut abgeholt fühle … das ist ebenfalls nur eine Frage der tanz individuellen Einschätzung. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Will ich mich denn als Leserin überhaupt auf Marketingmaßnahmen für Bücher einlassen? Und wenn ja, wie könnten solche Marketingmaßnahmen aussehen?
Ich kenne zum Beispiel eine Autorin, die hat ein richtiges Fan-Netzwerk aufgebaut. Da kennt man sich tatsächlich oft auch aus dem echten Leben. Denn sie bietet auch Spaziergänge, Ausflüge, Picknicks neben all ihren regelmäßigen Lesungen an. Die Fanbase wird zur eingeschworenen Gemeinschaft. Und dieses Gemeinschaftsgefühl ist so stark, dass niemand an Marketingstrategien dabei denkt. Doch in Wahrheit sind sie das natürlich. Diese Autorin weiß sehr genau was sie tut. Und sie tut es so sehr ihren Leser:innen zugewandt, so liebevoll und überzeugend, dass wirklich alle, die sich dieser Fanbase zugehörig fühlen begeistert mitmachen.
Das ist der Idealfall:
Diese Autorin hat es geschafft, ihre Zielgruppe zu treffen – im wahrsten Sinn des Wortes.
Dann gibt es Leserinnen wie mich. Die schlagen ständig Haken. Laufen von einem Thema zum nächsten. Von einer Fantasiewelt in die andere. Lieben mal diesen Autor, mal jene Autorin. Wollen sich ein halbes Jahr lang nur mit einem bestimmten Thema befassen. Und danach am liebsten ganz was anderes lesen. Wir sind schwer zu fassen.
Manchmal lasse ich mich von der Lebensgeschichte einer Autorin beeindrucken. Manchmal ist es der Sprachstil eines völlig unbekannten Autors, der mich gefangen nimmt. Dann will ich entweder alles von und über ihn lesen. Oder ich möchte einfach nur in seiner literarischen Welt bleiben. Und denke, die steht so sehr für sich, dass mich die reale Person dahinter gar nicht interessiert.
Schaut auf das, was zu euch selbst passt!
Also plädiere ich dafür, dass wir als Leserinnen und Leser unsere individuelle Freiheit in jeder Hinsicht behalten sollten, auswählen können und dürfen, was und wie wir möchten. Geführt von der Buchhändlerin unseres Vertrauens und gleichzeitig auf einem Flohmarkt völlig anonym nach Büchern greifen, deren Titel und Inhaltswelten uns ebenso fremd sind wie der Name des Autors. Sollte ich mal in die Gemeinschaft der Fanbase einer Autorin geraten, wird es vermutlich genau die Welt die ich – bewusst oder unbewusst – gesucht habe. Aber ich werde es nicht darauf anlegen, es wird eher zufällig geschehen. Mit anderen Worten: Die Autoren kann nicht davon ausgehen, dass sie mich so einfach „abholen“ kann … Dazu ist mir meine Freiheit als Leserin viel zu wichtig, viel zu wertvoll. Denn das Lesen ist für mich immer noch das breiteste, unvorhersehbarste, größte Abenteuer. Und das soll es bitte auch bleiben.
Aus- und Rundumblick
Dieser Beitrag ist Teil meiner Serie „Buchmarketing historisch“.
Und ich schreibe ihn unter anderem deshalb, weil ich jahrzehntelange Erfahrung im Buchmarkt mit all seinen Erscheinungsformen habe. Seit ich als Buchhebamme Menschen dabei unterstütze, ihr eigenes Buch – vorwiegend als Selfpublisher – zu publizieren, fiel mir auf, wie wichtig Individualität auch in Sachen Buchmarketing ist. Und als bekennend eigensinniger Mensch soll diese Erkenntnis unbedingt auch in meine Arbeit einfließen. Darum arbeite ich derzeit mit Hochdruck an meinem ersten Selbstlernkurs: Buchmarketing jenseits von amazon wird er heißen.
Mehr darüber demnächst hier, in diesem Theater …
Text und Bild: Maria Al-Mana, die Buchhebamme