Ich bin so alt, dass ich mich noch gut daran erinnern kann, dass es mal klassische Buchhandels-Vertreterinnen und -Vertreter gab. Über manche von ihnen kursierten regelrechte Abenteuererzählungen. Zum Beispiel die legendäre Buchhandelsvertreterin, die keinen Führerschein besaß, von ihrem Verlag aber einen Chauffeur gestellt bekam. Sie soll eine richtig große Lady gewesen sein . Eine, die Aufsehen erregte, wenn sie ausstieg, während ihr die Autotür aufgehalten wurde.

Buchmarketing mit und für Menschen

Buchhandelsvertreterinnen sind und waren bei Verlagen angestellte Menschen, die regelmäßig in Buchhandlungen vorbeischauten – überall. Es war also definitiv eine Reisetätigkeit. Immer hatten sie das aktuelle oder auch erst kommende Programm „ihres“ Verlags in der Tasche. Und dann erzählten sie erst einmal den Buchhändler:innen, was der Verlag demnächst plante. Und was davon für diese Buchhandlung  und vor allem deren Kundschaft an Neuerscheinungen in Frage kommen könnte. Ob dabei das Schlagwort „Zielgruppen“ fiel? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall war es ein echter Service – für Leser*innen wie für Buchhändler*innen. Ja, es ging um Marketing. Und die Buchhandelsvertreter:innen wussten genau, wovon sie da sprachen – sie waren schließlich bei den wichtigsten Redaktionssitzungen immer anwesend.

Buchmarketing aus Verlagssicht

Natürlich hatten die Vertreterinnen und Vertreter immer auch die berühmten Verlagsvorschauen in der Tasche. Die häufig dann in großer Stückzahl neben der Kasse zum kostenlosen Mitnehmen auslagen. Ja, es gab Menschen, die haben sich die Verlagsprogramme eingesteckt und sogar durchgelesen. Um sich auf Neuerscheinungen zu freuen, die Buchkäufe für das nächste halbe Jahr zu planen. Oder sich eben einfach nur einen groben Überblick über das zu verschaffen, wofür der jeweilige Verlag steht …

Denn das ist ja einer der Kernpunkte von Buchmarketing im Verlagswesen: Verlag XY steht genau dafür – unübersehbar. Häufig in ähnlicher Aufmachung, mit gut einsortierbarer Covergestaltung, etwa in den Farben eines ganzen Regenbogens, der sich ergibt, wenn man Buch an Buch reiht. Oder mit herausragenden Grafiken eines nicht selten genau dafür prämierten Künstlers.

Buchhandel und Verlage wussten um ihre Abhängigkeit voneinander

Oder der Verlag steht für das Kontroverse, das Neue, das, worüber zu diskutieren sein wird. Oder für das Traditionelle, für die und die Erfolgsautorin. Auch das gab es natürlich immer schon. Nur behaupte ich: Die Vielfalt der Verlagsangebote war vor etwa 50 Jahren sehr viel größer als heute. Damals machte es also auch Sinn, darauf zu schauen: Welcher Verlag veröffentlicht welche Bücher?

Wenn ich neue Bücher suchte, wusste ich genau: Dieser Verlag bringt in aller Regel genau das heraus, was mich interessiert. Ist das heute noch so? Ich behaupte nein. Es wird alles immer ähnlicher. Dazu muss man sich nur mal die Cover angucken. Es gibt  Buchgenres, deren Cover sehen alle ähnlich aus. Völlig unabhängig vom Verlag.

Gut, man mag sagen, das sind jetzt eine Kleinigkeiten … Wichtiger ist doch, dass ich sagen könnte: Das Angebot dieses Verlags, das stimmt – für mich.

Und dieses Angebot konnte auch vor 50 Jahren schon so groß sein, dass es für das Marketing-Geschehen wirklich wichtig war, regelmäßig kostenlose Beratung zu bekommen: „Guck mal, lieber Buchhändler, wir haben diese neue Autorin im Programm. Von der erwarten wir noch so und so viele weitere Titel. Sie hat sich spezialisiert auf Thema XY. Das ist doch was, das passt wunderbar zu deiner Laufkundschaft! Damit kannst du deine Schaufenster dekorieren … Es gibt thematische Schwerpunkte. Wir liefern sogar noch die nötigen Dekoartikel dazu, wenn du möchtest. Du machst Werbung für uns – und wir machen vielleicht in unserem nächsten Verlagsmagazin Werbung für dich. Und ich gucke mir auch gleich noch an, was in deinem Lager steht … Was davon du vielleicht nicht mehr brauchst … Was du an uns zurückgeben willst – denn auch das gehört ja zu unserem Service, das sogenannte Remissionsrecht. Wir gucken, wie wir Platz schaffen können – für die neuen Buchtitel, die zu erwarten sind.“

So ähnlich stelle ich mir die Gespräche zwischen Verlagsvertreterin und Buchhändler vor. Es war wirklich ein Rundum-Service, Buchmarketing wurde immer gleich mitgedacht, Verlage wussten ganz genau, wie wichtig der Buchhandel für sie war – und umgekehrt. Buchhandel und Verlage konnten kaum ignorieren, dass sie voneinander abhängig waren.

Buchhebamme Maria Almana auf Foto mit Sprechblase daneben: Buchmarketing historisch - mit Fokus auf  Buchhandel und Verlagswelt

Kaum noch Katzen unterwegs …

Heute sind Verlagsvertreter äußerst selten geworden. Und neben vielem anderen bleibt auch der notwendige Prozess, sich mit dem Buchmarketing auseinanderzusetzen allein an den Buchhändlerinnen hängen. Mit Auseinandersetzen meine ich Fragen wie: Wofür will ich als Buchhandlung stehen? Ja, es gibt sie noch, die kleinen, inhabergeführten Buchhandlungen. Die jeden Monat zum Beispiel mit ihrer Schaufenstergestaltung einen inhaltlichen Schwerpunkt setzen. Die in der Buchhandlung selbst durch liebevolle Präsentation dafür sorgen, dass Kauf-Interessierte schnell zu den Themen finden, die sie anziehend finden. Genauso schnell aber auch zu der Neuerscheinung kommen, die sie noch nicht kennen. Oder sich einfach treiben lassen, stöbern und entdecken dürfen.

In einer meiner Lieblingsbuchhandlungen wohnte zum Beispiel eine Katze. Die war stadtbekannt. Und wer dorthin kam, wusste immer: Ich muss Zeit mitbringen. Und sei es nur, um die Katze zu kraulen. Besser natürlich, um neue Buchtitel zu entdecken. Beides war sozusagen gleichermaßen Programm. Nur: Die Katze habe ich leider schon lang nicht mehr gesehen …

Und dennoch denke ich: So etwas gehört zum Buchmarketing dazu. Nur hat es sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert.

Ich behaupte: Vielfalt und/oder Diversität sind immer noch möglich

Verändert hat es sich natürlich vor allem deshalb, weil große Buchhandelsketten und riesige Verlagskonzerne alles immer ähnlicher machen. Vom Cover bis zur Auswahl, vom Angebot bis zu den Themenschwerpunkten. Das ist leider so. Da lässt sich wie bei so vielem die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Trotzdem finde ich es sinnvoll, sich ab und zu mal gedanklich zurückzuwenden und sich zu vergegenwärtigen, was alles möglich war. Und manchmal auch noch möglich sein könnte.

Vielfalt, Diversität… Das wünschen sich schließlich viele Menschen – gerade heute. Und über die Mechanismen von Verlagsentscheidungen, Buchhandelsgeschehen und individuellem Buchmarketing halte ich die Buchwelt für einen idealen Ort, um Vielfalt möglich zu machen. Sie regelrecht zu zelebrieren, zu leben. Warum denn nicht? Oder anders herum: Wer will denn ernsthaft in einem Einheitsbrei untergehen?!

Darum schreibe ich diese kleine Serie hier – über die Historie des Buchmarketing. In Schlaglichtern und aus meiner eigenen Erinnerung … Einer Erinnerung, die auf gut 50 Jahren Buchhandelsgeschehen aus jedem nur erdenklichen Blickwinkel beruht.

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