Der Indiebookday wurde von einem „echten Verlag“ aus der Taufe gehoben: dem mairisch verlag. Der nennt sich schon mal eindeutig „Indie-Verlag für Literatur, Sachbuch, Hörspiel, Graphic Novels, Musik und Lesungen.“ Daraus ist eine schöne Aktion entstanden: Einmal im Jahr gibt es den „Feiertag des unabhängigen Verlegens. Am 20. März ist es 2012 wieder so weit.
Die Spielregeln: Bestellt Euch zum 20.03.2021 über eine Buchhandlung Eures Vertrauens ein Buch. Irgendeines, das Ihr sowieso gerade haben möchtet. Wichtig ist nur: Es sollte aus einem unabhängigen/kleinen/Indie-Verlag stammen. Danach postet Ihr ein Foto des Covers, des Buches, oder Euch mit dem Buch (oder wie Ihr möchtet) in einem sozialen Netzwerk (Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat) oder einem Blog Eurer Wahl mit „#indiebookday“. Wenn Ihr die Aktion gut findet, erzählt davon.
Und wozu ist das gut?
Auf Instagram hat die Buchhandlung Marcus fünf gute Gründe benannt, warum es unabhängige Verlage geben sollte, geben muss. Die teile ich alle, darum zitiere ich sie hier mal:
1 Sie bringen Vielfalt in die Buchhandels- und Verlagsbranche jenseits der Markttrends.
2 Sie wecken Neugier auf die Buchkultur – unabhängig und bibliodivers.
3 Sie pflegen ein individuelles Profil, sind risikobereit, engagiert und leidenschaftlich.
4 Sie sorgen für ein breites Spektrum von Meinungen und Perspektiven im öffentlichen Diskurs.
5 Sie lassen uns die Welt mit neuen Augen sehen.
Und wie finde ich einen unabhängigen Verlag?
Dazu hat meine Kollegin Cordula Natusch echte Fleißarbeit geleistet: Sie hat eine Menge von Listen und Suchmöglichkeiten zusammengetragen, wie sich Indieverlage finden lassen. Steht hier – und ist sehr lesenswert.
Doch nicht jeder unabhängige Verlag bringt Bücher heraus, die jede:r lesen will .. Wie also finde ich MEINE unabhängigen Verlage?! Dabei kann ich wirklich immer nur von mir ausgehen.
„Meine“ unabhängigen Verlage …
… finde ich, indem ich – natürlich absolut eigensinnig – den Themen folge, die ich liebe. Oder bestimmten Sympathien.
Ich liebe zum Beispiel alles rund um das Meer – gern eher nördlich. Und Inseln – gern eher klein und seltsam. Und naturwissenschaftliche Betrachtungen, die eigensinnig das ganz Besondere im Blick haben – am liebsten so, dass das auch erzählt wird. Erzählendes Sachbuch also. Und so kam ich beispielsweise auf folgende Verlage – das sind nur drei, die sich mir über diese Lieblingsthemen sofort „eingebrannt“ haben. Denen ich nicht erst seit gestern folge, deren Verlagsprogramme ich mehr oder weniger aufmerksam lese …
Den Ankerherz-Verlag: 2007 von Julia und Stefan Kruecken gegründet, hat er ein Konzept, das in vielen Punkten meiner Definition von Eigensinn entspricht. Vor der Verlagsgründung war Stefan Kruecken ein durchaus erfolgreicher Reporter für große (Hamburger) Magazine. Ich habe ihn selbst erzählen hören, dass die Jagd nach Skandalen für ihn irgendwann einfach keinen Sinn mehr machte. Er wollte sinnvolle Geschichten erzählen, von echten Menschen, von „Helden des Alltags“. Also produzieren er und seine Frau seitdem genau die Bücher, die sie selbst gern lesen wollen: „Wir werden niemals Zeitgeistiges verlegen. Bücher über veganes Yoga beim Standup-Paddeln wird es nicht geben. Dafür Geschichten, von denen wir glauben, dass sie die Zeit überdauern“, schreibt Stefan Kruecken in seinem Blog. Es begann mit Geschichten alter Kapitäne („Orkanfahrt“) und zahllosen Gesprächen mit einem Freund: Bobby Dekeyser, heute Unternehmer, früher Fußballstar, der von den zahlreichen Aufs und Abs seines Lebens erzählt. Tenor des Buchs („Unverkäuflich!“): „Mach weiter – aufgeben kann jeder“. Das trifft auch auf den ehemaligen Obdachlosen Dominik Bloh zu, der entdeckt wurde, weil er ab und zu auf Facebook lyrische Texte schrieb. Heute liegt seine Geschichte als Buch („Palmen aus Stahl“) vor, ebenso wie die vielen Geschichten von Menschen auf dem Meer, gestrandet, in schwerer Seenot oder den modernen Verliesen von Kreuzfahrschiff-Küchen, unter Tage an Land, als Nonne glücklich oder als Kriegsfotograf/in weltweit in permanenter Gefahr. Kurz: Geschichten aus einer der vielen Welten, die es gibt, die aber den meisten Menschen bislang eher unbekannt waren.
Den marebuchverlag für ziemlich eigensinnig. Bei „mare“ geht es in vielen Formaten, auch im TV, immer um Menschen und deren Perspektiven, die ganze Welt und das Meer. Schon 1999 erschien das erste mare-Buch noch in einem Fremdverlag: „Mit den Meeren leben“ von Elisabeth Mann Borgese (der jüngsten Tochter von Thomas Mann), ein engagiertes Plädoyer der Wissenschaftlerin und Seerechtsexpertin für den Schutz der Ozeane. Das gab die Perspektive vor, die sich bis heute nicht wirklich verändert hat – vor allem in den Magazinheften nicht. 2001 wurde der marebuchverlag ins Leben gerufen, dessen wichtigster Grundsatz ist, „jeden Titel im Programm als Kleinod zu betrachten, auch gestalterisch“. Sehr klare Vorgabe: „Der mareverlag publiziert ausschließlich Belletristik und Sachbücher mit einem eindeutigen und zentralen Bezug zum Meer.“
Matthes & Seitz: Bis 2001 in München ansässig, beleuchtete das Verlagsprogramm dort seit 1977 das „Niemandsland zwischen Wissenschaft und Kunst“. Weil das sehr nah an meiner Definition eines erzählenden Sachbuchs liegt, zählt er für mich zu den eigensinnigen Verlagen. Heute hat er seinen Sitz in Berlin und es erscheinen dort Titel wie „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel, der 2015 für diesen Roman den Deutschen Buchpreis erhielt – aus der Jurybegründung: Dieser Text sei ein „hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia“. Also ziemlich eigensinnig, oder? Meiner Ansicht nach trifft das auf das ganze Verlagsprogramm zu. Vielleicht sage ich das aber auch nur darum, weil eine so eigensinnige Autorin wie Judith Schalansky dort seit 2013 als Herausgeberin eine eigene Reihe betreut: die Naturkunden. Das sind aufwendig gestaltete Bücher, die „eine leidenschaftliche Erkundung der Natur vornehmen und damit den inhaltlichen Programmschwerpunkt Natur, Bewegung im Raum und Ökologie prominent markieren“, wie in der Selbstbeschreibung steht. Doch selbst riesige Brückenschläge wie die zwischen Natur und Sprache gelingen hier: „Eisvogel, Brombeere, Zaunkönig – was, wenn die Wörter für die lebendige Natur unbemerkt aus der Sprache, den Märchen und Geschichten, der Wirklichkeit verschwänden?“ Das steht in der Ankündigung zum Buch „Die verlorenen Wörter“. Aber vielleicht finden Sie ja das „Buch vom Schleim“, den „Bildungstrieb der Stoffe“, „sprechende Blumen“, die „Naturgeschichte der Gespenster“ oder „Die Einsamkeit der Wüste“ spannender … Auf eigentlich alle dieser Titel trifft zu, was ein Kritiker über die Erinnerungen des Insektenforschers Jean-Henri Fabre schrieb: „Das liest sich – anders als moderne Forschungsberichte – nicht nur wie Literatur, das ist Literatur.“
Noch ein Beispiel: Als ich auf der Suche nach Büchern war, die sich mit Geschichten von Migrant:innen beschäftigen – und zwar nicht in dem Hype von heute, nicht erst seit gestern, sondern schon länger – stieß ich auf den Sujet-Verlag. Der bezeichnet sich selbst als „Kleinstverlag“, veröffentlicht mit Schwerpunkten auf moderner Lyrik aus dem Iran und der arabischen Welt, außerdem grenzüberschreitende Romane und Sachbücher. Denn er zeichnet sich durch so genannte „Luftwurzelliteratur“ aus – ein poetischer Ausdruck für grenzüberschreitende Literatur, die sich nicht in enge Begriffe pressen lassen will. Eigene Definition: „In Abgrenzung zum eher negativ konnotierten Begriff der Exilliteratur steht in der Luftwurzelliteratur der bereichernde Aspekt des Exils im Vordergrund. Nicht der wehmütige Blick in die Heimat und Klagen stehen im Fokus, sondern die persönliche Erfahrungsschilderung des Lebens in unterschiedlichen Kulturen. Luftwurzeln halten sich nicht an Grenzen, sondern wachsen über sie hinaus.“
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Wenn ich einen Verlag mag, bestelle ich auch gleich mehrere Bücher „auf einen Schlag“ – hier eine Auswahl:
Oder es geht schlicht um Sympathien … Dazu gehört für mich beispielsweise der Verlag Hermann Schmidt: immer besonders schön gestaltet, Typografie eben. Hier gehen die Buch-Gestaltung in der Praxis aller Veröffentlichungen und der inhaltliche Schwerpunkt deutlich sichtbare Verbindungen ein. Mission: besser gestaltetes Leben. Wozu natürlich auch Bücher gehören. 1992 wurde dieser Verlag von Ehepaar Karin und Bertram Schmidt-Friderichs gegründet. Aus der Selbstbeschreibung: Der Verlag „steht für ein kleines, feines Nischenprogramm, das kreative Köpfe kribbeln und die Herzen von Kreativen höher schlagen lässt. Bücher und Produkte von Schmidt begleiten Gestalter+innen durch den Kreativ-Alltag, sie stiften Nutzen und bringen Freude. Sie vermitteln handwerkliches Know-How, helfen bei (Karriere-) Entscheidungen, ordnen ein, denken weiter, ebnen Wege, und sind Habenwollen-Bücher, die man und frau nur ungern aus der Hand legt.“ In diesem Verlag gibt es keine Reihen, sondern nur „Buchindividuen“, da werden für einzelne Bücher auch schon mal komplett neue Herstellungsverfahren entwickelt. Bei der Auswahl von Autorinnen und Gestaltern will man ausdrücklich „neue Talente entdecken und entwickeln“ und: „Die immer schnelleren Marktzyklen der Wegwerfgesellschaft halten wir für ökologisch und ökonomisch fragwürdig, Ramschen behalten wir uns für absolute Notfälle vor.“
Ach, Indieverlage … Es gibt so viele! Jede:r sollte sich eigene suchen! Am besten mit einer guten Portion Eigensinn!
In eigener Sache
Die Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte. In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch.
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.