Wozu sind Inseln da? Zum Beispiel zum Entschleunigen. Und wenn das bedeutet, dass ich fast ein halbes Jahr brauche, bis ich endlich über ein Buch schreibe, das ich rundum liebe – dann ist das eben so. Der Beitrag ist wirklich nicht mehr ganz frisch. Trotzdem hänge ich sehr an ihm. Wegen der Insel, der Autorin. Wegen des Buchs natürlich auch …
Kein Schreibratgeber!
Ich rede von „Mein Helgoland“. Mein? Wer ist hier „Ich“? Könnte ich gesagt haben – schließlich habe ich dort geheiratet. Hab ich aber nicht gesagt. Hat Isabel Bogdan gesagt. Und vom Schreiben versteht sie sehr viel. Noch ein Grund, dieses Buch zu lieben. Denn es geht nicht nur um eine Insel, sondern auch ums Schreiben. Beides zusammen, in einem Buch?! Genial! Ja, ist es wirklich.
Habe es ja schon mehrfach betont: Von „Schreibratgebern“ halte ich normalerweise nicht allzu viel. Die meisten gießen eine einzige Gießkanne über alle schreibwillige Menschen gleichzeitig aus. Kann das finktionieren? Meiner Ansicht nach nie. Doch es gibt Ausnahmen. Ganz sicher Iabel Bogdan. Denn sie geht die Sache völlig anders an. Eben von einer Inselt aus. Ohne Gießkanne in der Hand.
„Schreiben ist auch eine Insel. Man ist allein mit dem Text, abseits von allem anderen (…)“ Zitat von Isabel Bogdan. Und: Schreiben findet „nicht nur in dem Moment statt, in dem man tippt, sondern man ist, zumindest im Hinterkopf, die ganze Zeit auf seiner eigenen Insel.“ Kann ich nur sagen: beides stimmt. Doch das ist noch lang nicht alles: Geschichten lassen sich umrunden wie Inseln, man kann von oben auf sie sehen – oder ganz tief runtersteigen, in einen Bunker zum Beispiel. Hat Helgoland alles: die Bunker und ein Hoch-Oben, von dem aus Isabel Bogdan sogar noch die Erdkrümmung am Horizont hinter dem weiten Meer sehen kann.
Das Unerwartete: Helgoland und das Schreiben
Was das Buch für mich so großartig macht, ist die Kunst von Isabel Bogdan, Dinge, Eindrücke, Gedanken, Farben, Fragen, Gerüche, Vögel …. überhaupt alles miteinander zu verknüpfen. Vor allem das Schreiben und Helgoland. Beides ist schließlich mehr als vielschichtig, immer an Punkten unerwartet, wo man es nicht erwartet … Äh? Ja, ist so.
Beim Schreiben erwarte ich auch immer alles Mögliche. Was dann gar nicht passiert. Statt dessen kommt was ganz anderes. Und genau das ist für mich (auch) Kunst.
Groß und klein, klein und groß
Auf Helgoland habe ich anfangs das „kleine Inselgefühl“ erwartet. Was dann kam, war eher groß. Und auch das kann beim Schreiben leicht passieren: Guck dir was Kleines an – und es entsteht daraus was. Nicht immer groß. Aber anders als erwartet.
Beispielsweise fragt Isabel Bogdan irgendwann: „Geht das nur mir so, oder müssen andere auch lachen vom Wind, speziell vom Helgoländer Oberlandwind?“ Wenn man ganz allein ist. Wie beim Schreiben. Oder eben im Helgoländer Oberland, „allein mit dem Wind und dem Licht, dem Wasser und dem Blau.“
Ja, gelacht habe ich dort oben auch. Oft. Und auch noch später in Gedanken … Im Oberland gab es immer Schafe. Manche hatten dunkelbraune, manche schwarze Kniestrümpfe an. Nein, natürlich nicht. Das war einfach eine spezielle Schaffellfärbung, nur an den Beinen. Doch ich habe jedes Mal gelacht, wenn ich die sah und das Wortbild „Schafe mit Kniestrümpfen“ trage ich seitdem immer mit mir. Was natürlich nicht heißt, dass die Sache mit dem Wind unwichtig wäre … Ganz und gar nicht.
Lachen, spielen, Blödsinn machen
Isabel Bogdan lässt sich im Buch natürlich auch von DEM Helgoländer Dichter, James Krüss, animieren: „Spielen also. Spaß“ – das ist eine ihrer Erkenntnisse beim Lesen von James. Der ist uns auch begegnet – ebenfalls in der Hotelier-Familie, die heute noch auf der Insel präsent ist und unter anderem dieses Hotel betreibt, wo statt Zimmernummern Autor:innen-Namen an der Tür stehen. Zum Beispiel „Isabel Bogdan“.
In unserem Fall war es die Nichte, die von ihrem Onkel James erzählte. Das ist jetzt etwa 25 Jahre her … Ich staunte nicht schlecht, als ich es zum ersten Mal hörte, schließlich war eher bekannt, dass der Autor auf einer ganz anderen Insel gelebt hat – auf Gran Canaria. Geboren aber wurde James Krüss 1926 auf Helgoland.
In einem anderen Hotel dieser Familie gibt es eine Sauna – Bademantel überwerfen, kurz mal eben über die Straße laufen und die Nordsee als Abkühlbecken nutzen. Geht. Sogar im Winter. Wir haben es getestet, hat großen Spaß gemacht. Ja: Dieser Wind verleitet definitiv zum Spielen. Und zum Lachen. Dass ich aus Versehen mal auf der Düne – kurzsichtig, wie ich bin – gemeinsam mit Robben schwimmen war, erzähle ich jetzt lieber nicht …
Schreiben auf Helgoland
Ich bin auch absolut bei Isabel Bogdan, wenn ich in meiner Nicht-Schreibanleitung zum Eigensinn wie sie immer wieder auf das spielerisch abwartende Schreiben zurückkomme. Sie sagt: „Ich funktioniere anders. Ich schreibe keine feste Seitenzahl pro Tag, sondern starre gefühlte Ewigkeiten in mein Dokument, hadere, kämpfe, zweifle, bin überzeugt, dass mir nichts einfällt, und dann bricht plötzlich etwas aus mir heraus .“
Wenn wir dasitzen und nur ins Dokument starren, ist alles ziemlich klein. Und wenn es plötzlich aus uns herausbricht, kann es auch groß werden. Wie „Mein Helgoland“.
Genauso habe ich Helgoland erlebt: Kleines wurde groß. Wir waren mehrmals dort, immer mindestens zehn Tage. Zu zweit, meistens im Winter. Und als klar wurde, dass wir heiraten wollen, stand fest: Es muss auf Helgoland passieren. Dass unsere kirchliche Trauung dann ausgerechnet der Mann vollziehen sollte, der einige Jahre später das wohl dickste Buch über Helgoland veröffentlichen würde … Hätten wir es wissen können? Dass da schon wieder was ziemlich Großes entstand? Damit meine ich jetzt unser noch immer glückliches Verheiratetsein UND das Buch von Eckhard Wallmann. Fast 700 Seiten über die „deutsche Kulturgeschichte“ der kleinen Insel hat er geschrieben, da war er noch Pfarrer der evangelischen Gemeinde Helgoland. Ja: Die Insel animiert definitiv zum Schreiben!
Die Insel – das Meer – das Schreiben – die Sehnsucht
Das Buch von Isabel Bogdan hat 120 Seiten. Doch ihr Thema ist mehr als groß. Das Schreiben ist eine ganze Welt, unter anderem auch meine Welt. Und was Isabel Bogdan in ihrem nur scheinbar kleinen Buch schreibt, enthält für mich die großartigste Formulierung, die all das zusammenbringt, was mich ebenfalls umtreibt: das Meer, die Sehnsucht, das Schreiben. Na gut, in meinem Fall kommt noch die Liebe dazu … Wie auch immer: In allen Fällen fügt sich das kleine Helgoland einfach großartig alldem hinzu, ganz ohne Grund, Anfang oder Ende.
Es ist, als sei Helgoland genau dazu da. Für alle, für die das Schreiben eine eigene Welt ist. Ihr müsst gar nicht unbedingt hinfahren. Helgoland eignet sich wirklich nicht für alle Menschen, vielen ist es viel zu klein. Aber ihr solltet unbedingt dieses Buch lesen und damit vielleicht euer eigenes „Helgoland“ erschaffen.
Ich hatte ja die „großartigste Formulierung“ erwähnt … Hier ist sie: „Im Unterland ist man ganz nah am Wasser. Man sieht unaufhörlich die Wellen heranrollen, eine nach der anderen, mal höher, schäumend, rauschend, sich überschlagend; mal wirkt das Meer spiegelglatt, mal ist es leuchtend blau, mal grau in grau, und immer ist es ein Versprechen, immer bringt es seine Geheimnisse mit und seine Geschichten. Wilde Abenteuer und beschaulich-faule Stranderinnerungen, Hübsches, Warmes, Furchterregendes, Kaltes. Das Leben. Und die Sehnsucht. Immer bringt das Meer die ganze Sehnsucht mit, gleichzeitig stillt es Teile davon, ich weiß nicht, wie das Meer das macht, es kann alles gleichzeitig. Immer zieht es so. Die Sehnsucht ist sowieso immer da, vielleicht braucht man sie zum Schreiben, vielleicht ist alles Schreiben ein Schreiben gegen die Sehnsucht.“
Wer das Schreiben liebt, sollte dieses Buch lesen!
Ups! Ich sehe jetzt erst, dass dies genau das Zitat ist, das auch der mareverlag für die Buchrückseite gewählt hat … Macht nichts. Damit ist zumindest schon mal der Verlag benannt: Isabel Bogdan – Mein Helgoland. Beim mareverlag hier bestellen. Oder im Shop der Autorenwelt hier. Und in Isabel Bogdans Blog steht noch der Hinweis aufs Hörbuch – hat sie selbst eingelesen, gemeinsam mit Christoph Maria Herbst als James Krüss.
Text: Maria Al-Mana
In eigener Sache
Die Trilogie des Eigensinns besteht bislang aus zwei Büchern – die sich ohne Probleme auch wunderbar getrennt voneinander lesen lassen. Macht durchaus Sinn, denn sie bilden zwar eine „Familie“, haben aber unterschiedliche Schwerpunkte.
In „Mein Kompass ist der Eigensinn“ geht es darum, wie wir Eigensinn erkennen, ihn für uns entwickeln können. Aber auch darum, wo er seine Grundlagen hat, welche Vorbilder ich gefunden habe – und wie er uns helfen kann. Als Kompass zum Beispiel. Oder beim Schreiben von (eigenen) Büchern.
In „Wer schreibt, darf eigensinnig sein“ steht eigentlich schon alles Wichtige im Titel: Es geht um die praktische Realisierung des Schreibens mit Eigensinn, um Kreativität, aber auch um Selfpublishing. Da gibt es jede Menge Praxistipps, Übungen und Beispiele. Aber auch die Spiellust – meiner Ansicht nach ein wichtiges Schreib-Instrument – kommt nicht zu kurz. Zum Beispiel mit dem Selbsttest „Welcher Schreibtyp bin ich eigentlich?“ Der zieht sich – augenzwinkernd bis ernst – durch das ganze Buch. Und trotzdem hat dieses Buch ganz klar im Untertitel stehen: „kein Schreibratgeber“. Damit möchte ich klarmachen: Mit dem „Gießkannenprinzip“ sollte hier nicht gerechnet werden!
Beide Bücher auf einen Blick – und auch zum Bestellen – im Shop der Autorenwelt hier. Aber natürlich auch überall sonst, wo es Bücher gibt.