Vielfalt – Identität – Eigensinn. Wie hängt das zusammen? Wo gehöre ich hin?
Wenn ein Satz mit „Ich“ anfängt, sage ich am liebsten: Ich bin eigensinnig. Wenn ich bestimmen soll, wofür ich stehe, ist mir Vielfalt der liebste Begriff, dicht gefolgt von Eigensinn.
Identität kann sich ändern, ist selten auf nur ein „Merkmal“ beschränkt. Für mich setzt sie sich aus Vielfalt zusammen. Simples Beispiel: Wenn ich mich noch so sehr über mein Sternzeichen Jungfrau definiere (nein, bin ich nicht!), gäbe es noch den Aszendenten einer – sagen wir mal – Löwin. Beides kann ich als Identität sehen. Gleichzeitig.
Genauso die in Westdeutschland geborene Tochter eines Irakers und einer Ostdeutschen. Ja, das bin nun doch ich. Meine Identität ist vielfältig – ob ich will oder nicht. Jetzt kann ich mich mit den historischen Aspekten der „Gemischtrassigkeit“ beschäftigen. Und würde Fürchterliches zu sehen kriegen.
Muss ich dieses Erbe antreten? Ja und nein … Ja, denn es ist in mir. Historisches Erbe prägt uns. Vor allem, wenn wir es nicht thematisieren können: Als Asylsuchende, weil es dafür (noch) keine Worte gibt. Als Flüchtling, weil nur ein einziger Blick zurück schon viel zu schmerzhaft wäre. Als Kriegsenkelin, weil Traumata quer über Generationen weitergegeben werden.
Aber ist allein das unsere Identität? Ich denke nicht. Es gibt – zumindest teilweise – auch die Option, ein „Erbe“ nicht anzunehmen. Manchmal gelingt das. Unter Kriegsenkeln etwa, wenn die Traumata in der Familie kommuniziert werden konnten. Wenn wir beginnen, es zu thematisieren, können wir uns davon distanzieren. Dann müssen wir das Erbe nicht in seiner vollen Wucht annehmen.
Für mich ist Identität oft schmerzhaft. Wir haben sie uns nicht ausgesucht, können sie nicht verleugnen und müssen irgendwie mit ihr fertig werden. Ich glaube, da gibt es nur einen Weg: Leute, sprecht darüber! Oder schreibt. Tauscht euch aus, realisiert, dass es Millionen Menschen gibt, die „anders“ sind.
Ich weiß genau, wie verrückt schwierig das sein kann. Habe Jahrzehnte gebraucht, bis ich solche Gedanken äußern konnte.
Jetzt endlich kann ich es. Und möchte alles dafür tun, dass wir unsere Vielfältigkeit anerkennen. Für uns selbst, füreinander, untereinander. Dann tut es nicht mehr so weh. Dann fühlen wir uns weniger einsam. Dann lernen wir, auch Blicke von außen zuzulassen. Dann kann manches zu heilen beginnen.
Ich kann das alles nur andeuten. Es ist ein magischer, aber oft erst mal ebenfalls schmerzhafter Prozess. Darum bin ich auch Coach. Ich möchte alle, die vielleicht gerade beginnen, über Identität nachzudenken, begleiten. Für mich funktioniert das am besten, wenn wir darüber schreiben. Habe ich oft erlebt: Die Vielfalt der Bücher und Menschen, die ich begleite, ist groß.
Aber vor allem trage ich Vielfalt in mir. Das Hadern mit Identität(en) ist mir vertraut. Mein Weg ist der Eigensinn. Muss nicht eurer sein. Doch Schreiben ist unglaublich hilfreich. Für uns alle.